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Galerie-Bild

Bild des Monats August 2011:
Runeninschrift

Das Bild zeigt eine Gewandnadel aus einem Frauengrab des 6. Jahrhunderts, eine sogenannte Bügelfibel. Als Bestandteil der Frauentracht diente sie zur Befestigung der Kleidung und gleichzeitig auch als Schmuck. Auf der Rückseite der Fibel kann man runische Schriftzeichen erkennen. Dieses Schriftsystem wurde von Germanen um ca. 100 n. Chr. entwickelt und gehört wie das lateinische Alphabet dem phonographischen Typus an. Es war im frühen Mittelalter im ganzen germanischsprachigen Gebiet in Gebrauch – so auch in Mertingen (Bayern, Deutschland), woher das abgebildete Stück stammt. Die Runen dienten in dieser Zeit unter anderem zur Wiedergabe von Namen und kurzen Formeln auf mobilen Gegenständen wie beispielsweise Fibeln oder Waffen.

Die Runen auf dieser Fibel können allerdings sprachlich nicht gedeutet werden. Aufgrund ihrer Formen lassen sich im unteren Bereich in der Mitte sieben Runengraphe (ieok aun), rechts oberhalb ein (b, deutlich grösser und mit doppelt gezogenen diagonalen Strichen) und am Ende der Fussplatte möglicherweise auch noch ein (d) identifizieren.
In dieser Abfolge ergeben sie keinen Sinn – auch nicht, wenn man sie von rechts nach links liest. Die zwei grösseren Runengraphe erwecken zudem wegen ihrer Positionierung beziehungsweise Strichornamentik den Eindruck, als seien sie dekorativ auf der Fibel angebracht. Diese Indizien könnten dafür sprechen, dass die Inschrift von Mertingen nicht angebracht wurde, um sprachlichen Inhalt wiederzugeben. Möglicherweise war dem oder der Schreiber/in die Korrespondenz der einzelnen Zeichen auf Laute sogar unbekannt. Das bedeutet aber nicht, dass die Runen hier jemand ritzte, der oder die keine Schriftkenntnis hatte, denn deren Formen waren offenbar bekannt. Ausserdem wusste er oder sie, dass die Beschriftung der Fibel eine mediale Erweiterung bedeutete: Durch die Schrift bekam das Objekt einen Mehrwert, es wurde ausgezeichnet. Die Fibel diente mit der Schrift noch als Gewandnadel, was uns die Kratzspuren auf der Rückseite zeigen, die auch über die Runen hinweggehen. Mit der Schrift war sie aber individualisiert. Bei der Beschriftung der Bügelfibel von Mertingen stand womöglich allein die Funktion der Auszeichnung des Objekts mit Schrift im Vordergrund. Die Bildlichkeit der Runenzeichen reichte aus, dies wiederzugeben; der sprachliche Inhalt war nicht von primärer Relevanz.

Michelle Waldispühl