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Die Nationalen Forschungsschwerpunkte (NFS) sind ein Förderungsmittel des Schweizerischen Nationalfonds.
Galerie-Bild

Bild des Monats Januar 2011:
Der «Welsche Gast» – Gothaer Handschrift (1340)

Der Text – eine Verhaltenslehre für ein höfisches Publikum aus dem frühen 13. Jahrhundert – ist mit einem umfangreichen Bildzyklus ausgestattet, der zur Vertiefung in die dargebotenen Lehren einlädt. In beiden Formen der Vermittlung greifen Beobachtungen zur höfischen Wirklichkeit und abstrahierende Reflexion zu den Tugenden und Lastern ineinander. Abstraktes beziehungsweise Unsichtbares wird mit Hilfe von Personifikationen in den szenisch organisierten Miniaturen bildlich zur Darstellung gebracht.

Im vorliegenden Beispiel deutet die linke Bildhälfte eine typische Hofszene an: Ein loser (Schmeichler) tritt an seinen herren heran und rühmt dessen Tugendhaftigkeit: ir sit an tugenden volkomen gar, lautet sein Spruchband. In vorbildlicher Weise seiner Fehlbarkeit bewusst, weist der herre das Lob zurück: Min untugent giht daz niht (‹meine Tugendlosigkeit entspricht dem nicht›), ist seine Antwort. Er zeigt dabei in die rechte Bildhälfte, aus der girde (Gier), erge (Geiz) und unstete (Unbeständigkeit) auf ihn eindrängen.

Das Bild macht nicht nur Unsichtbares sichtbar, sondern ist auch darauf angelegt, weiterführende Denkprozesse einzuleiten. Im Spruchband der girde ist zu lesen: Wir bedurfen mer gutes (‹Wir benötigen mehr Besitz›); Ich gib genuch minen chnechten (‹Ich gebe meinen Dienern genug›) steht im Spruchband der erge. Die Spruchbänder dieser beiden Laster legen also Erwägungen und Rechtfertigungen frei, in denen sich girde und erge im herrscherlichen Alltag äussern. Etwas anders verhält es sich mit dem Spruchband des hintersten Lasters, der unstete: er sol iu gern sin undertan (‹Er [= der herre] soll euch bereitwillig untergeben sein›), ist dort zu lesen. Das Spruchband spielt auf die Rolle der unstete als Hauptlaster und Nährboden für weitere Laster an.

Bild: Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha FBG, Memb. I 120, Bl. 31v.

Vera Jerjen