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Galerie-Bild

Bild des Monats November 2010:
Handschrift von Joseph von Eichendorffs «Von Kühnen Wunderbildern» (Das Marmorbild)

Am 2. Dezember 1817 schickt Joseph von Eichendorff das Manuskript der Novelle «Das Marmorbild» an den Herausgeber Friedrich de la Motte Fouqué zur Veröffentlichung in dessen «Frauentaschenbuch für 1819». Eigentlich Text, zeigt sich in der Handschrift an verschiedenen Stellen, das dem Medium ‹Text› auch bildhafte und klangliche Elemente zugrunde liegen.
So findet sich auf der letzen Seite ein abschliessendes «Finis», das von Eichendorff durchgestrichen und mit einem schwarzen Tintenklecks übermalt wurde. Dieser ‹aufgehobene› Schluss korrespondiert mit dem Textinhalt, denn das lateinische Finis bedeutet zum einen ‹Ende›: Das Ende der Novelle ist offen, die Protagonisten ziehen weiter «in das blühende Mailand». Durch das Übermalen des Wortes Finis wird das Enden der Erzählung bildlich ausgelöscht und der Leser dadurch aufgefordert, diese nicht mit dem graphischen Schlusspunkt abzuschliessen. Zum anderen kann Finis auch mit ‹Grenze› übersetzt werden: Das Übermalen stellt die Grenze zwischen ‹Text› und ‹Bild› aus. Der Text verhandelt seine eigene Medialität als Intermedialität. Sobald er nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern über sich selbst, über seine eigenen medialen Bedingungen nachdenkt, wird er zu einem poetologischen Text.
Dies gilt ebenso für Passagen im «Marmorbild», die Stimmlichkeit exponieren: «Es war ausgemacht worden, dass jeder in die Runde seinem Liebchen mit einem kleinen improvisierten Liedchen zutrinken solle.» Kurz darauf singt der Protagonist Florio seinem «Liebchen» tatsächlich ein «Liedchen» und nähert sich ihm an. Es kommen sich dabei nicht nur die beiden Personen näher, sondern auch die beiden Wörter «Liebchen» und «Liedchen», die als Binnenreim eine Bindung eingehen.
In beiden Fällen zeigt sich, dass Eichendorffs «Marmorbild» ein intermediales Gefüge ist, das teilweise bildlich, teilweise klanglich funktioniert. Über diese Eigenschaft von Sprache nachdenkend wird es letztendlich zu einem poetologischen Kunstwerk.

Freies Deutsches Hochstift/ Frankfurter Goethe-Haus, Hs 20428a

Daniel Alder